Bodenoffensive 2.0

Den israelischen Luftangriffen auf Raketenstellungen und Depots der Hamas im Gazastreifen wird bald eine Bodenoffensive folgen, sind sich Experten sicher. Nach fünf Tagen Bombardement dürfte sie unmittelbar bevorstehen. Fachleute des Strategie-Portals „Stratfor“ haben in ihrer Analyse „Considering an Israeli Ground Assault in Gaza“ die israelische Bodenoffensive von 2008/2009 unter die Lupe genommen und potenzielle Brennpunkte für eine Neuauflage aufgezeigt.

Im Rahmen der „Operation Gegossenes Blei“ hatte Israel im Dezember 2008 mit Luftangriffen auf den Gazastreifen begonnen, um Raketenstellungen und Depots der Hamas zu zerstören. Nach sieben Tagen Bombardement gingen die israelischen Streitkräfte dann zu einer Bodenoperation über, um mit Panzern, Infanterie, Artillerie und Kampfhubschraubern Hamas-Fabrikationsstätten und Tunnel zu zerstören. Zuvor hatte sie der Hamas ein 48-stündiges Ultimatum gestellt, aber bereits nach 24 Stunden angegriffen, was die Hamas völlig überraschte.

Operation „Gegossenes Blei“ 2008/2009

Die Operation Gegossenes Blei bestand aus zwei Teilen: Einer ersten, sieben Tage dauernden Phase von Luftschlägen, die Ende Dezember 2008 begannen und einer zweiten Phase von Bodenoperationen, die ab Anfang Januar 2009 rund drei Wochen dauerte. Während der Luftangriffe zog Israel mehr als 20.000 Soldaten mit Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und Artillerie in Bereitstellungsräumen am Gazastreifen zusammen.

Diese Truppen stießen dann in zwei Keilen in den Gazastreifen vor und teilten ihn in zwei Hälften. Die südliche Kampfgruppe übernahm die Aufgabe, den wichtigen Highway 4 nahe Rafah zu blockieren und Gaza-Stadt vom Nachschub aus dem Süden abzuschneiden. Mit Luftschlägen und Seebeschuss belegten israelische Streikräfte die „Philadelphi Route“ an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten. Die nördliche Kampfgruppe stieß nördlich und südlich von Gaza-Stadt vor und trennte die Stadt damit vom Rest des Landes. Nachrückende Truppen übernahmen dann die Zerstörung aller militärischen Einrichtungen der Hamas. Dabei vermied es die israelische Armee, in die jeweiligen Stadtzentren vorzustoßen.

Operation 2012

Auch eine Neuauflage dürfte wesentliche Elemente der „Operation Gegossenes Blei“ übernehmen, da diese als großer Erfolg gilt und ähnliche Ziele hatte. Es gibt allerdings zwei wesentliche Unterschiede. 2009 hatte die ägyptische Armee die südliche Grenze des Gazastreifens bei Rafah mit eigenen Truppen geschlossen. Dieses Mal ist damit nicht zu rechnen. Tatsächlich hat Ägypten sogar angekündigt, die Grenze offen zu halten. Für die Isarelis bedeutete dies, dass sie eventuell die südliche Grenze zu Ägypten mit Truppen selbst verschließen müssen, was mehr Bodentruppen erforderte. Und es bedeutete auch, dass israelische Truppen bis auf wenige hundert Meter an ägyptische Kampfverbände heranrückten.

Israelische Armee mobilisiert
Israel hat lauf Presseberichten rund 16.000 Reservisten einberufen, insgesamt, so wird kolportiert, sollen sogar bis zu 75.000 einberufen werden. Dies lässt auch Rückschlüsse auf den Umfang der vermuteten Bodenoffensive zu, die weit größer ausfallen dürfte als 2009. Bei der Bodenoperation im Januar 2009 waren deutlich weniger, nämlich nur rund 6.500 Reservisten einberufen worden.

Der zweite Unterschied ist die Größe des abzuschneidenden Gebietes im Norden um Gaza-Stadt. Wegen der größeren Reichweite der von der Hamas gegen Tel Aviv eingesetzten iranischen Fajr-5-Raketen müsste eine Abriegelung Gazas viel weiter südlich erfolgen. Schätzungen zufolge müssten sämtliche Fajr-Feuerstellungen bis südlich der Stadt Nuseirat bekämpft werden. Das Operationsgebiet für die israelischen Streitkräfte wäre damit mehr als doppelt so groß und erforderte naturgemäß den Einsatz von mehr Soldaten als beim letzten Mal.

Neue Taktik, neue Überraschung

Bei der Operation 2009 schufen sich die israelischen Streitkräfte unterstützt von umfangreichen Pionierverbänden eigene Zugänge zum Gazastreifen abseits der üblichen Übergänge. Der Grund dafür war, genau jene Routen zu vermeiden, auf denen die Hamas die israelische Armee erwartet hatte und die sie deshalb mit Minen und Sprengfallen gepflastert hatte. Auch bei einem erneuten Vorstoß in den Gazastreifen dürfte die israelische Armee diese Taktik verwenden. Nur die Antwort der Hamas ist ungewiß: Die Fehler, die sie beim letzten Mal gemacht hat, dürfte sie dieses Mal nicht mehr begehen.

Entscheidend für den israelischen Vorstoß war 2009 neben einer Unterstützung durch punktgenaue Artillerie vor allem die Luftnahunterstützung durch Kampfhubschrauber und Kampfjets, die ständig über Gaza präsent waren um sofort eingreifen zu können. Bislang unbestätigte Berichte sprechen jedoch davon, dass die Hamas inzwischen im Besitz von schultergestützten Luftabwehrraketen ist. Dies bedeutete eine deutliche Einschränkung von Luftunterstützung beim Vorstoß mit Panzerfahrzeugen und Infanterie für die Israelis. Eine geeignete Antwort auf diese Bedrohung wäre auch hier der Einsatz stärkerer Bodenkräfte als 2009.